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Vom Wichteln und sentimental journey.

Autorenbild: Silvia GillardonSilvia Gillardon

Es gab Zeiten, da war ich eine begeisterte Schenkerin. Die legendären Salatschüsseln für meine Mutter hatte ich jeweils schon im Mai gebunkert, und zwar in stapelbarer, kumulativer Dimension. Jedes Jahr. Überhaupt war das Schenken einfacher, weil niemand meiner Lieben «alles hatte». Den beeindrucksten Erfolg hatte ich damals mit meiner genialen Schale für eine bunte Zwergkürbissselektion. Das Rezept war von meiner hinterhältigen Freundin Monika. Ich brauchte nur eine der geliebten «His masters voice» - Langspielplatten meines grossen Bruders in heisses Wasser zu tauchen, riet sie, … danach würden sich die Ränder malerisch zu einer wunderbaren Schale verformen – voila! Dass ich bei der Plattenwahl ausgerechnet «Sentimental journey» mit der Rückseite «Besame Mucho» ausgewählt hatte, war Pech. Für meinen Bruder und danach leider auch für mich.  So richtig verziehen hat er mir leider nie.

Vermutlich wurde nach diesem Vorfall meine Schenkfreude getrübt. Auf jeden Fall fiel mir von Jahr zu Jahr immer weniger Geniales ein. Einen Knüller landen? Unmöglich! Das Verbot meines Neffens, der ausgerechnet an Weihnachten auch Geburtstag hat, all seine Geschenke in Weihnachtspapier zu verpacken, konnte ich origineller Weise noch  umschiffen, indem ich ihm von den hübschen Handschuhen das linke Exemplar in neutrales Papier und das rechte in Papier mit Tannenbäuchen verpackte. Aber so ein Gag funktioniert leider nur einmal.

Diese Weihnacht war die Herausforderung besonders gross. Alle Enkel hatten nur noch einen trivialen Wunsch: Geld. Geld für ein Motorrad, geile Kopfhörer, eine Japanreise …  Ich nahm es ihnen nicht übel. Denn wenn bei ihnen heute ein Wunsch auftauchte, erfüllten sie ihn subito, ohne auf Weihnachten zu lauern. Die Zeit der bescheidenen Wünschlein, nach einer weiteren Holzkuh im Stall, einem Silberring oder einer Legofeuerwehr war vorbei. Natürlich wünschten sie sie nicht die ganze Reise, das komplette Motorrad … Aber wieviel, bitte sehr, ist ein kleiner Anteil?

Ich gebe es zu: Sehr elegant habe ich mich nicht geschlagen mit meinem Geldbeitrag, den ich mit einer hilflosen Fotografie von einer Harley, einem Kopfhörer oder von ein paar Yen-Banknoten aufgepeppt hatte. Doch dann, endlich endlich, sprachen meine Töchter unter der Douglasiastanne ein erlösendes Machtwort: Schluss jetzt mit der hilflosen, stressigen Schenkerei! Nächste Weihnachten wird gewichtelt!

Ich hatte zwar keine Ahnung, was Wichteln bedeutet, aber wenn das Wort das Ende von Geschenkstress bedeuteten sollte, dann war ich begeistert. Die Vertreter der Generation Y und Z erklärte es mir geduldig. Man schreibe die Namen aller Beteiligten auf Zettel, und jeder von uns ziehe blind einen davon. Der Ziehende müsse daraufhin dem Gezogenen ein Geschenk machen. Den Maximalbetrag würde man zum Voraus fixieren, und zwar für jeden gleichviel. Was bedeute, dass jeder der Anwesenden sich nur für ein Geschenk Gedanken machen müsse. Und man hätte ein ganzes Jahr Zeit, sich etwa auszudenken oder den einzigen zu Beschenkenden bezüglich Wünschen notfalls zu observieren…

Ich war entzückt. Nur ein Geschenk! Nur einmal im Jahr! Das würde selbst ich schaffen. «Also, fangen wir gleich an damit!» rief ich. «Her mit den Zetteln!»

Meine Töchter schüttelten die Köpfe. «Doch nicht jetzt! Wir wissen doch noch gar nicht, wer von uns dann noch unter uns ist!»

Ich zuckte zusammen, aber ich würde mich hüten, mir meine Irritation anmerken zu lassen. «Wie meint ihr das?» hüstelte ich.«Na ja, vielleicht hat ja einer Deiner Enkel im nächsten Jahr eine andere Freundin!» «Oder einen Freund!» entfuhr es einem meiner anderen Enkel. Die eine Freundin hatte sich schon empört erhoben. Der «eine der Enkel» genauso. «Beruhigt Euch!» versuchte jetzt ein Schwiegersohn aus der philosophischeren Fraktion zu schlichten. «Sie meinten ja bloss, das in einem Jahr viel passieren kann in unserer Zusammensetzung. Je jünger die Teilnehmer, desto schneller geschehen Veränderungen.» Ich schlage vor, wir ziehen die Lose am Ende des nächsten Oktobers. Dann ist immer noch genug Zeit zum Planen.» «Das bedeutet aber, dass wir alle nochmals zusammen kommen müssten im Oktober?» frage ich. «Vergiss es! Dafür gibt es doch eine App!» rufen die Enkel unisono. «Und wie funktioniert das mit dem Ziehen?« lasse ich nicht locker .«Dafür gibt es doch einen Wichtelgenerator. Online.»«Logo! kapiert» heuchle ich.

Alle gehen mehr oder weniger zufrieden nach Hause mit ihrem Zwanzigstel Harley oder Zehntel Tokioticket. Noch einmal bin ich einigermassen gut weggekommen.


Nächstes Jahr wird alles einfacher! Aber für heute Nacht weiss ich, was ich träumen werde. Von niedlichen, generatorangetriebenen Wichteln und «Sentimental journey».

 

Silvia Gillardon, Dezember 2024

 
 
 

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