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Ragazzi, wir bleiben!

  • Autorenbild: Silvia Gillardon
    Silvia Gillardon
  • 9. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Nov.



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Es ist Zeit für eine Veränderung. Miranda, die Dame, die durch meinen dichtesten Zukunftsnebel und in meine finstersten Abgründe blicken kann, meint es ernst. Was oder wen hat sie damit bloß im Visier?

Ratlos betrachte ich meinen Allerliebsten, der so friedlich neben mir schläft. Ihn? Ich bin doch nicht wahnsinnig. Der war doch ein Glückstreffer und ist noch ewig gut genug für mich. Gut genug? Was sag ich da? Der ist perfekt. Mein Outfit also? Der Blick auf meine Garderobe erübrigt sich eigentlich. Hier, das weiß ich schon längst, würde eine „Veränderung“ wenig bringen. Hier wäre eine Revolution notwendig. Aber wer schaut mich denn überhaupt noch kritisch an? Für meine Freunde zählen schließlich längst nur noch innere Werte. Behaupten sie wenigstens. Resigniert schließe ich meinen Kleiderschrank. Meine beiden Kater besser erziehen? Hoffnungslos! Wenn ich sie schimpfend vom Tisch herunterschubse, dann lachen die mich doch höchstens aus und springen, kaum wende ich mich ab, wieder hoch. Das ewige Blau aus meinen Bildern verbannen? Wie soll ich denn das Meer, den Himmel wiedergeben? Also ehrlich, das mit dem Blau kann Miranda vergessen. Von Kunst versteht diese Dame gar nichts.* **

Stöhnend und keuchend ziehe ich mich am Geländer hoch, schleppe die schweren Einkaufstaschen Tritt für Tritt hinter mir her. Diese verfluchte Treppe ist unmenschlich steil, hoch und ewig lang. Und bei der Wohnungstür angekommen ist die Qual noch lange nicht zu Ende. Erst muss ich die beiden Kater zurückscheuchen, die auf ihr altes Recht als Freigänger pochen und jede Gelegenheit benutzen, um auszubüxen. Dann weitere Stufen erklimmen, um zum Kern meines ach so romantischen Studios vorzustoßen. Atemlos hieve ich die Taschen auf die Küchenablage. Mein Puls rast, die Knie zittern. Erschöpft lasse ich mich auf die Couch sinken … Und plötzlich wird mir klar, was Miranda mit Veränderung gemeint hat. Natürlich! Die Erkenntnis schlägt ein wie ein Blitz. Ich muss umziehen. Endlich raus aus diesem alten, unpraktischen Gemäuer. Rein in eine moderne, schicke Wohnung mit Garage, riesigen Fenstern und vor allem mit Lift. Herrlich!

***

Entschlossen stehe ich auf. Ich werde ihn erfüllen, diesen Traum! Sofort.  Und ich weiß auch schon, wie. Wozu gibt es sonst dieses wunderbare Onlineportal für Immobiliensuchende? Ich starte mein Notebook und gebe ein: „Idealista“ Diesen genialen Namen hatte ich mir vor Jahren gemerkt, verheißt er doch Großartiges. Schließlich ist ein Idealist ein optimistischer Mensch, der von Idealen geleitet wird und nach einer besseren Welt strebt.

Aufgeregt scrolle ich durch unendlich viele verlockende Angebote. Nach einer Stunde schwirrt mir der Kopf. Vielleicht wäre es doch klüger, die Suche im sogenannten Filter etwas einzugrenzen? 160 Quadratmeter? Drei Badezimmer? Fünf Schlafzimmer. Barocken Stuck und Deckenmalerei? Kostbare Marmorböden?  Aircondition? Brauchen wir alles nicht. Privatgarten? Ich kreuze stattdessen Meersicht an. Grosse Terrasse? Notfalls reicht auch ein Balkon. Zuletzt kommt, so ganz nebenbei, die Frage nach dem Budget. Nach zwei Stunden scrollen bleibe ich an einer Anzeige hängen. Endlich! Da ist sie. Meine Traumwohnung zu einem vernünftigen Preis, im obersten Stock, mit Lift, herrlichen Terrazzoböden, Meersicht … Begeistert rufe ich den Makler an. Leider, leider sei die Wohnung genau gestern verkauft worden, bedauert der Mann. Aber er hätte andere, sogar noch bessere Angebote. Ein Lockvogel also. Enttäuscht lege ich auf und klappe das Notebook zu. Basta! Ich mag nicht mehr. Ich lasse den Blick durch unsere Wohnung schweifen, trete dann auf den winzigen Balkon, atme tief ein. Ein Sonnenstrahl kitzelt meine Nasenspitze. Das Meer glitzert. Herrlich! Bin ich eigentlich wahnsinnig? Beinahe hätte ich unser kleines, geliebtes Paradies verraten. Und dies nur wegen ein paar lächerlichen Treppenstufen und einer durchgeknallten Hellseherin?


„Idealista kann uns mal“, sage ich zu den Katern. „Und die oberschlaue Miranda auch. Von wegen Veränderung! Den Allerliebsten behalten wir. Meine Bilder bleiben weiterhin blau. Meine Garderobe bequem. Und ihr auf dem Tisch. Wenigstens solange euch niemand sieht.

Ragazzi, wir bleiben!“


 
 
 

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