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  • AutorenbildSilvia Gillardon

Küssen? Sicher nicht.

Aktualisiert: 13. Mai 2020





Sie hatte ja in letzter Zeit zugenommen, ja, sie war ausser Rand und Band geraten, diese Küsserei. Wäre es so weitergegangen wie bisher, dann hätte der Mafioso noch den Chef der guardia di finanza abgeknutscht. Der Gewerkschaftsboss den CEO. Oder Maxli seine Tante.


Zum Teil hat sie ja Spass gemacht, wenn der Richtige geküsst hat. Aber wenn man im Restaurant von den Kellnern abgeknutscht wurde, war das eher seltsam. Zumal sie jedes Mal stolz auf drei Küssen bestanden, weil sie es von Schweizer Gästen so gelernt hätten. Der Vizebürgermeister roch nach Zwiebeln, der Gemüseverkäufer nach kalten Cigarrillos. Beim Abschmatzen der Nachbarin aus dem zweiten Stock hatte ich jeweils den Mund voller ekliger Haarlackreste. Und da Damen ihre Parfums vor allem unter dem Ohrläppchen verteilten, war man nach der Begrüssungsküsserei vor der Yogastunde von den Duftwolken bereits dermassen tiefenentspannt, dass die anstrengenden Katzen- oder Kobrapositionen gar nicht mehr nötig gewesen wären.


Gar nicht mehr lustig aber war es beim obligaten Treffen unter deutschsprachigen Bekannten, in Italien, samstags, jeweils um 12 am Blumenmarkt. Denn einer von der Gruppe, Sepp, Giuseppe genannt, roch deftig nach verregnetem Hund. Dazu kam, dass sein Kinn stachelte. Ausserdem schmatzte er, nicht nur beim Essen, aber leider halt auch beim Küssen. Keiner mochte seine nassen Küsse, aber es wäre heikel gewesen, Giuseppe-Sepp bei der Begrüssung aus Versehen zu übersehen. Geschweige denn, ihm diplomatisch beizubringen, dass unter Bekannten jetzt Trockenküsse angesagt seien. Natürlich lästerten wir über sein Geschmatze, wenn Giuseppe-Sepp nicht dabei war. Aber das befreite uns nicht vor seinen nassen Küssen.

Eine der ganz Schlauen, Sofia, präsentierte dann eines samstags die Lösung. "Sorry", wehrte sie cool ab, als Giuseppe-Sepp mit triefenden Lippen auf sie zutrat: "Wir haben beschlossen, dass wir uns nicht mehr küssen. Ab heute. Nicht wahr?", wandte sie sich an uns.

"Stimmt!", log ich, um sie nicht im Regen beziehungsweise der Spucke stehen zu lassen.

"Warum denn das?" fragte Giuseppe-Sepp.

"Weil...., weil", stotterte ich: "Weil Küssen nicht mehr modern ist!"

Giuseppe-Sepp wirkte erst etwas verdattert. "Schade!" murmelte er endlich. Doch dann fasste er sich ein Herz beziehungsweise Sofias Hand und drückte zu.

"Aua!" schrie sie.

"Wie sehr ein Mann ein Mann ist, beweist er mit seinem Händedruck!" lächelte Giuseppe-Sepp. Dann streckte er mir seine Pranke entgegen. "Ich kann dich aber auch küssen, wenn dir das lieber wäre. Die neue Regel ist noch nicht unterschrieben."

Ich entschied mich für Schmerzen.

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